Kli­mak­ti­vis­t:in­nen erhalten zunehmend Morddrohungen von Neonazis. Früher wurden sie von den Rechten als „Zecken“, heute als „Grüne“ beschimpft.

Viel wurde sie heraufbeschworen, die Gefahr einer Radikalisierung der Klimabewegung. Doch Fridays for Future gehen noch immer brav angemeldet auf die Straßen, Ende Gelände belässt es bei gewaltfreien Aktionen und die Letzte Generation mag radikal aufopferungsvoll oder nervig sein, aber nicht gefährlich – und schon gar keine „Klima-RAF“. Daran ändern politisch motivierte Ermittlungen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung nichts.

Vielmehr deuten Ex­per­t:in­nen genau jene Ermittlungen der bayerischen und brandenburgischen Staatsanwaltschaften als Ausdruck einer radikalisierten gesellschaftlichen Stimmung gegen die Klima­ak­ti­vist:in­nen. Der Wind, der ihnen entgegenschlägt, ist rauer geworden, im Netz und auf den Straßen. Wie radikal und gefährlich das werden kann, machte zuletzt Tino Pfaff, Weimarer Mitgründer von Extinction Rebellion, auf Social Media öffentlich.

Ende August erhielt er Morddrohungen auf sein Handy: „Bei dir beharren wir darauf, dich zu quälen und im Anschluss zu töten“, steht da etwa. Der taz sagt Pfaff: „Der Täter nimmt dabei Bezug zu meinem Klimaaktivismus und fordert, dass ich damit aufhöre“.

Auch Anrufe mit Stimmenverzerrer habe es gegeben. Eine NPD-Nähe habe der Verfasser der Drohungen selbst hergestellt, seine Umtriebe in Netzwerken, die der antisemitischen Verschwörungsideologie einer New World Order anhängen, konnten nachvollzogen werden. Pfaff gilt bei den Behörden inzwischen als gefährdete Person. Anti-Grün-Sein ist zu einer Ideologie geworden

Für Pfaff ist der Hass nicht neu, aber dieser habe zuletzt eine „ganz andere Qualität“ erreicht. Auch im Netz gebe es deutlich mehr Stimmungsmache: „Ich kann keinen Tweet mehr absetzen, ohne dass sich da in kürzester Zeit Hasskommentare darunter sammeln.“ Dies habe seit der Übernahme des Netzwerks durch Elon Musk massiv zugenommen.

Im realen Leben merkt Pfaff noch eine andere Veränderung: „Wurde ich früher auf der Straße als ‚Zecke‘ beschimpft, heißt es heute einfach: ‚Du Grüner‘.“ Für viele sei das inzwischen ein Schimpfwort für alles Linke und Progressive. Die Debatte über das Heizungsgesetz habe gezeigt, „dass dieses Anti-Grün-Sein schon eine eigene Ideologie geworden ist“.

Erstmals schien diese Entwicklung vor drei Jahren auf, mit dem enormen Zulauf für die Facebook-Gruppe „Fridays for Hubraum“ und massenhaften Vergewaltigungs- und Mordfantasien gegen FFF-Gründerin Greta Thunberg. Weitere Gruppen sind dazugekommen, darunter Hetzseiten, die von dem Automobilclub Mobil betrieben werden, wie der Künstler Arne Vogelgesang in seinem Vortrag „Wie die Rechten die Klimabewegung angreifen“ berichtet. Hass auf Letzte Generation

Zur Zielscheibe geworden ist insbesondere die Letzte Generation, nicht nur bei rechten Hatern im Netz, sondern auch bei Po­li­ti­ke­r:in­nen und etablierten Medien. Erinnert sei an die Debatte darüber, ob man „Klima­kle­ber“ selbst von der Straße befördern darf. Oder wie es Bild-Kolumnist Joachim Steinhöfel im hauseigenen TV sagte: „Wenn jemand vorgibt, die Welt retten zu wollen, sollte er nicht so dünnhäutig sein, dass es ihm groß etwas ausmacht, wenn etwas Haut auf der Straße kleben bleibt.“

Die Folge: Deutschlandweit fast 150 Ermittlungsverfahren gegen Au­to­fah­re­r:in­nen wegen Angriffen. „Die Stimmung ist massiv gekippt“, sagt auch Jabob Springfeld, Mitgründer von FFF Zwickau. Inzwischen „finden auch vermeintlich unpolitische Leute alles schlecht, was nach Klimaschutz klingt.“

Dabei war es für ihn schon zum Start der Gruppe 2019 nicht leicht: „Man ist 16, hat kein Bock, dass das Klima zerstört wird, und ist dann plötzlich mit Nazis konfrontiert.“ Fotos von ihm wurden veröffentlicht, Nazi-Aufkleber an den Briefkasten seiner Eltern geklebt. Zu einer FFF-Aktion gab es gar eine Gegendemo mit laufendem Dieselgenerator und Bratwurstgrillen.

Geprägt werde die Antistimmung durch die AfD, die die Klimakrise leugne und den Protest als unbegründet zurückweise, so Springfeld. Doch Begriffe wie „Klimahysterie“ kämen auch aus CDU oder FDP. Seine Erfahrungen mit dem Druck von Rechtsaußen hat er in dem Buch „Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen rechts“ verarbeitet. Gelernt habe er: „Wir werden kein Thema, auch nicht Klimaschutz durchsetzen können, wenn Faschisten an der Macht sind.“

    • TheBawbe83@discuss.tchncs.de
      link
      fedilink
      Deutsch
      arrow-up
      6
      ·
      1 year ago

      Erstmal zu dem Punkt weshalb ich mir sicher bin, das etwas geschehen wird:

      Die Generation der jetzt 14 - 16 jährigen wird irgendwann in den nächsten 5 - 10 Jahren realisieren, dass ihre Proteste wirkungslos bleiben werden, genauso wie es meiner Generation (jetzt um die 40) und den Generationen danach ging. Nur mit einem Unterschied: Die Auswirkungen des Klimawandels die wir jetzt bereits sehr deutlich sehen werden sich in den nächsten 5 - 10 Jahren noch einmal deutlich dramatisieren… dann werden die ersten realisieren, dass sie es tatsächlich mit einem Kampf ums Überleben zu tun haben. Viele werden dann vielleicht immer noch resignieren oder sich dem Hedonismus hingeben, einzelne werden sich dann allerdings zusammenschließen und Anfangen die Lehren des Ukrainekrieges (Kleine Drohnen mit Sprengsätzen sind quasi nicht abzuwehren) auf den Klimakampf zu übertragen. Ich gehe davon aus, Manager von Ölkonzernen etc. werden die ersten “Opfer” sein.

      Vielleicht wird es aber auch harmloser und wir werden nur eine ständige Blockade größerer Flughäfen durch Drohnenschwärme sehen. Oder aber gezielte Anschläge auf Öltanker. Oder Bioterrorismus um die Anzahl der Menschen gezielt zu reduzieren.

      Es gibt viele Möglichkeiten. 2001 reichten ein paar radikale Spinner mit Teppichmessern um eine gewaltige Delle in der Geschichte zu hinterlassen.

      So, nun zu dem Punkt “was brächte es”: Nichts.

      Die Staaten werden ebenso radikal auf die Anschläge oder andere direkte Aktionen reagieren, bereits jetzt sehen wir wie Menschen in Gewahrsam genommen werden damit sie nicht an Protesten teilnehmen können… mit zunehmenden Druck wird dann auch der Gegendruck steigen, zudem gehe ich davon aus, dass wir auch hier in Deutschland einen deutlichen Rechtsruck in der Regierung erleben werden, mit all den netten Benefits die klimawandelleugnende Faschisten halt so mit sich bringen.

      Und nu?

      Kurz: Ich werde mich weiter bei Protesten engagieren, ich werde mit meiner Familie weiter darauf achten einen möglichst geringen Fußabdruck zu hinterlassen… aber ich gehe ganz ehrlich davon aus, dass ich während meiner Lebenszeit beobachten können werde wie unsere Zivilisation niederbrennt. Meine einzige Hoffnung ist, dass meinem Sohn genügend Wissen und Lebenserfahrung mitgeben können werde um in dieser neuen, deutlich feindseligeren Welt zu leben.

      • Ey ich frag doch nur@feddit.de
        link
        fedilink
        Deutsch
        arrow-up
        1
        arrow-down
        3
        ·
        1 year ago

        Ich glaub ja eher n scheiß wird passieren und wir passen uns ans Klima an. Wetterbedingte Auszeiten, Stunden oder Tage/Wochen. Komplette Abschottung der EU- oder nationalen Grenzen. Etc. Es wird Proteste geben. Der schwarze Block wird wieder präsenter und vielleicht etwas größer. Aber das wird’s schon gewesen sein. Und wir werden zusehen wie Regionen absaufen und Ernten ausfallen, wie gehabt… Zumindest für die nächsten 50 Jahre.

        Nicht, dass ich das gut finde, aber ich glaube diese Zukunftsaussicht ist realistischer.