Klasse: Barde
Alignment: Chaotic Evil
Wann entscheiden wir uns, eine Rose zu pflücken? Am besten dann, wenn sie gerade in voller Blüte steht, um ihre größte Wirkung zu entfalten. Sobald sie beginnt, ihre Blätter abzuwerfen, wird sie geschwind weggeworfen, außer der Besitzer ist vielleicht faul oder sentimental. Aber warum tun wir das? Wenn wir an eine Rose denken, dann stellen wir sie uns in dem Stadium vor, in dem sie am schönsten ist, wenn sie Jugend versprüht und ihre Farben am intensivsten leuchten. Eine Rose, die schon am Verwelken ist, ist wertlos. Wir schaffen sie uns aus dem Sinn, selbst wenn sie noch eine ganze Weile leben würde. Die Erinnerung, der Gedanke an eine Rose ist uns mehr wert als eine reale Rose, die nicht unseren Ansprüchen gerecht wird und uns enttäuschen könnte.
Als Barde eifere ich den Großen nach. Nicht nur träume ich selbst davon, große Kunst zu schaffen, ich bin auch weit gereist, um die große Kunst zu erfahren. Ich habe die prunkvollen Paläste so manch eines Königs betreten und die Ruinen von legendären untergegangenen Städten besucht. Und was muss ich sagen: Die Paläste waren es, die mich ohne Ausnahme maßlos enttäuscht haben. Andere Barden, die gewiss dafür von den jeweiligen Königen bezahlt worden waren, haben von Prunk und Superlativen gesungen und in mir große Erwartungen geweckt, die sich offensichtlich nie erfüllen ließen. Wenn man die Paläste direkt vor sich sieht, dann sind sie nicht nur kleiner als man erwartet, man kann sich auch nicht mehr vor dem verstecken, wovon die Lieder nicht berichtet haben. Die Ecken, wo der Baumeister gespart hat. Das Flickwerk, wo das Dach undicht war. Die Mäuse. Ich beneide jeden, der die Lieder hört und das Glück hat, den realen Palast nie zu Gesicht zu bekommen.
Die Ruinen, auf der anderen Seite, haben alles eingehalten, was mir die Legenden und Erzählungen darüber versprochen haben. Was stand wohl auf dieser Plinthe? Man sagt, es sei die Statue eines lange vergessenen Gottes gewesen. Ich kann ihn mir richtig vorstellen, wie er da steht und das Licht der altertümlichen Sonne den makellos weißen Marmor zum Leuchten bringt. Und diese von allerhand Gestrüpp überwucherte ovale Senke, das muss eine Arena gewesen sein. Welch glorreiche Krieger dort wohl gekämpft haben? In meiner Vorstellung, in der Vorstellung eines Jeden, der herkommt, um die Ruinen zu bestaunen, ist die untergegangene Stadt perfekt. Und diese Perfektion, da können wir uns sicher sein, wird niemals enttäuscht werden.
Es mag uns mit Wehmut füllen, dass das Goldene Zeitalter vorbei ist, aber tatsächlich konnte es erst dadurch zum Goldenen Zeitalter werden, dass es in der Vergangenheit liegt, denn gerade in den Geschichten, die wir darüber erzählen, erwacht es überhaupt erst zum Leben.
Aber auch nicht jede Geschichte ist gleich. Eine Erzählung von der schönen Königstochter, die vom edlen Ritter gerettet wird, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute, mag ein schönes Märchen für Kinder sein. Es wird aber in seiner Wirkung vollkommen in den Schatten gestellt vom Klagelied über das edle Paar, das durch Verrat zu Tode kam. In unseren Geschichten steckt immer ein Stück vom echten Leben. Nach dem glücklichen Ende für die Königstochter und den Ritter ist so einiges möglich. Vielleicht hatten sie eine unglückliche Ehe, vielleicht wurden sie später selbst zu Tyrannen. Wir müssen uns eingestehen, dass ein glückliches Ende, wie man es kennt, nicht wirklich ein Ende ist. Und ohne ein solches bleibt immer die Möglichkeit einer Trübung der Perfektion und einer Enttäuschung. Dem edlen Paar, das durch Verrat zu Tode kam, kann dies nicht passieren. Ihre Geschichte ist zu Ende. Ist vollendet. Wir können uns nur noch ausmalen, was gewesen sein könnte, aber es besteht nie die Gefahr, dass die Realität unsere Vorstellung von der Perfektion zunichte macht.
Wahre Legenden und wahre Größe erwachsen nicht aus schnödem Reichtum, Glück und Stabilität. Sie erwachsen aus Verlust, Leiden und Entbehrungen. Wer Dinge von wahrer Größe schaffen will, der muss dafür sorgen, dass die Helden von Heute ihr tragisches Ende in Ehren finden, bevor sie in Ungnade fallen und dass die Paläste niederbrennen, bevor sie ihr Gesicht an den schleichenden Verfall verlieren. Pflücket die Rose, ehe sie verblüht!