Er beugte sich nach vorne, spürte die Wärme des Schimmels und die Gelassenheit, die sie einte. “Wir schaffen das zusammen, wie immer.” Die geflüsterten Worte waren nicht nötig, das wusste er. Die Verbindung die sie hatten, funktionierte lautlos. Es war auch keine Magie im Spiel, nur ein nach Jahren der Zusammengehörigkeit fast unendliches Vertrauen.
In solchen Momenten konnte er alles um sich herum vergessen, fokussiert nur auf die Verbindung zu seinem treuen Gefährten.
Vergessen, dass drei Dutzend andere Reiter neben ihm warteten. Darauf warteten, dass er sie in die Schlacht führe.
Vergessen, welche Abscheulichkeiten im Tal auf sie warteten und was sie ihren Freunden angetan hatten.
Aber jetzt richtete der Duke sich wieder auf, hob den alten Eichenstab mit der linken Hand in die Höhe, die Enden zu den Seiten gerichtet. Er murmelte einige Silben in der alten Sprache und schickte einen Energieschub in den Stab, sodass sich aus diesem eine bläulich leuchtende Fläche über die gesamte Kampfreihe wölbte. Gleichzeitig zog er sein Schwert mit der Rechten, richtete es als Signal in Richtung des Feindes und liess nur durch eine minimale Gewichtsverlagerung das Ross antraben.
Er warf einen Blick zu seinen Kameraden auf beiden Seiten, die die Linienformation fast schon perfekt einhielten.
Nach einer kleinen Richtungskorrektur gab er mit den Schenkeln im richtigen Moment das Signal zum Galopp und Sekunden später hatte sich die Truppe zu einem donnernden Keil umgebildet. Schon waren sie in Bogenreichweite und die ersten Pfeile zerglühten knisternd auf der Schildblase. In wenigen Augenblicken würden sie den Feind erreichen.
Er sprach einen weiteren Zauber und erhob das nun weiß leuchtende Schwert zum ersten Schlag.
Ein harter Stoß traf ihn am rechten Oberarm und vor seinen Augen wurde es schwarz.
“T-5 Minuten. Komm endlich aus Deinem Scheiß-Spiel, wir sind fast da!” Duke schreckte hoch, beendete das Programm und zog die Cyberbrille auf die Stirn. Der Typ, der ihn so unsanft aus der Simulation gerissen hatte und jetzt zum vermutlich zehnten Mal sein Gewehr und die Kalibrierung seines Augenimplantats prüfte, war Joker. Ein guter Schütze und der Anführer ihre kleinen Gruppe, angeblich ehemaliger Special Forces Soldat.
Duke selbst war der Netrunner. Ein guter noch dazu. Schlafwandlerisch vertraut mit der Technik durch die vielen Stunden in BDs. Geschult durch die Anpassungen, die er seit der frühen Kindheit daran vornahm.
Der mürrische Rockfist auf seiner Linken, der sein Geld vermutlich komplett in Nahkampf-Cyberwear steckte und seine Zeit in Krafttraining, musste natürlich auch noch einen Kommentar abgeben.
“Du verbringst echt zu viel Zeit in der virtuellen Welt. Du verlierst noch den Kontakt zur echten.”
Duke blickt aus dem Fenster des Aerodyne. Elendig verdreckte Straßenschluchten im Regen, wie überall wo sie durchkamen. Natürlich wollte er so wenig wie möglich mit dieser Scheißwelt zu tun haben.
Aber auch Eskapismus wollte bezahlt werden, und legal war ohne gute Beziehungen kaum was drin.
Also bereitete er sich auf den Einsatz vor, prüfte professionell und routiniert seine Pistole und hoffte, dass er sie diesmal nicht brauchen würde. Das Cyberdeck war startklar und auf jedes ICE vorbereitet, das ihr Auftraggeber ihnen angekündigt hatte. Er würde sehen, wie unzuverlässig die Infos diesmal waren.
Shadow, die Scharfschützin, sah ihm mit ihrem unnachahmlich unlesbaren Gesichtsausdruck zu. Bei ihr wusste er nie, ob sie mit ihm die Nacht teilen oder ihn sofort erschießen wollte. Wahrscheinlich beides, Reihenfolge noch unklar. Vielleicht sollte er es einmal auf eine Antwort ankommen lassen.
“Okay, sprichst Du sie an?” Tom, der Spielleiter, blickt ihn herausfordernd an. Daniel, der selbsternannte Duke, nimmt den zwanzigseitigen Würfel in die Hand und nickt ihm zu. “Klar, was muss ich würfeln?”.
Bevor Tom antworten kann, klopft es knallend an die Tür. Sie versuchen sich still zu verhalten und das Klopfen wird ungeduldiger. “Aufmachen”, eine rauhe Stimme, die sie alle sofort erkennen, ertönt, begleitet von erneutem Klopfen. “Im Moment wollen wir nur mit Euch reden. Wenn ihr jetzt endlich aufmacht, passiert Euch nichts.”
Sie hatten mit ihren letzten Ermittlungen wohl doch nicht so daneben gelegen, wie sie dachten, sondern waren unangenehmen Zeitgenossen offenbar sogar gewaltig auf die Füße gestiegen. Und die Besitzer dieser Füße standen jetzt vor ihrem Unterschlupf.
Das Zimmer hat außer der Hintertür, die über eine kleine Treppe nach oben in den Garten führt, keine weiteren Außentüren und keine Fenster, eine Treppe führt innen nach oben in den Flur des Erdgeschosses. Im Raum selbst befinden sich der Spieltisch, ein Einzelbett und ein großer Kleiderschrank.
Was macht ihr?