Interne Agenten-Chats offenbaren, wie der chinesische Geheimdienst europäische Rechtsaußenparteien einspannt – um den Westen zu spalten. Spuren führen nach SPIEGEL-Recherchen auch zur AfD.
Deutschland quälte sich gerade durch den zweiten Lockdown, als Stefan Keuter, Bundestagsabgeordneter der AfD, eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung richtete. Die Menschen redeten im Frühjahr 2021 übers Impfen, über Schulschließungen und Kontaktbeschränkungen, die Coronapandemie hatte das Land fest im Griff.
Den AfD-Politiker aber trieb etwas anderes um – eine angebliche Flüchtlingswelle aus Hongkong. Möglicherweise drängten gewaltbereite Aktivisten ins Land, schrieb er in der Kleinen Anfrage, sie würden von dubiosen Organisationen unterstützt. Keuters Besorgnis war erstaunlich. Von Januar 2016 bis Ende April 2021 hatte es nur acht Asylanträge aus Hongkong gegeben, vier wurden positiv beschieden. Und wenn ein Demokratieaktivist wie Joshua Wong einreiste, gab er friedlich Interviews und plauschte auf einer Party im Reichstagsgebäude mit dem damaligen Außenminister Heiko Maas. Glaubte Keuter wirklich, einem drängenden Problem auf der Spur zu sein?
Kleine Anfragen im Sinne einer fremden Macht
Die Antwort auf diese Frage findet sich womöglich in Hunderten vertraulichen Chatnachrichten, die dem SPIEGEL vorliegen. Sie stammen von einem chinesischen Geheimdienstmann, der mit einem seiner Handlanger und Zuträger in Europa kommunizierte. Die Nachrichten legen nahe, dass Keuter nicht selbst auf die Idee gekommen war, die Kleine Anfrage zu stellen – sondern mutmaßlich im Auftrag einer fremden Macht agiert hat, für die die Demokratiebewegung in Hongkong tatsächlich ein drängendes Problem war: China.
»Voriges Jahr haben wir Druck auf die deutsche Regierung ausgeübt, um ihre Gewalt und ihre Einwanderungsziele zu zeigen«, schrieb ein chinesischer Agent mit Verweis auf die Regimekritiker in einer dieser Chatnachrichten an seinen Helfer in Europa und schickte einen Link zu der AfD-Anfrage mit. Der Mitarbeiter des chinesischen Ministeriums für Staatssicherheit (MSS) prahlte geradezu damit, die deutsche Bundesregierung mit dieser Anfrage genervt zu haben.
Die verräterischen Chats umfassen einen jahrelangen Austausch zwischen dem chinesischen MSS-Agenten und einem bekannten Rechtsaußenpolitiker in Belgien. Die Nachrichten aus dem Zeitraum von Juni 2019 bis November 2022 liefern einen einzigartigen Einblick in die verborgene Welt von Chinas wichtigstem Geheimdienst – und dessen Operationen in Europa. Die Chats wurden von einer westlichen Sicherheitsbehörde gesammelt und liegen dem SPIEGEL vor, der sie gemeinsam mit der britischen »Financial Times« und der französischen Tageszeitung »Le Monde« ausgewertet hat.
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Der SPIEGEL und seine Recherchepartner haben die Inhalte der Chats geprüft, mit Experten und Vertretern von Sicherheitsbehörden mehrerer Länder gesprochen und die zahlreichen darin genannten Personen ausführlich konfrontiert. Die Rolle Woos und seiner Dienststelle ließen sich dabei unabhängig durch mehrere Quellen verifizieren – ebenso seine Kontakte ins Umfeld der AfD im Bundestag. Auch Woos Beziehung zu dem belgischen Politiker ist in Sicherheitskreisen mehrerer Länder bekannt.
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Also, jene Länder, die versuchen, mithilfe von Rechtspopulisten andere Regionen zu destabilisieren, sind ja oft selbst Autoritär und nationalistisch regiert.
Glaubt da wirklich jemand, dass es für ihn selbst gut ist, aber den anderen schadet?